Ernährungspsychologische Beratung nach bariatrischen Eingriffen
Ein bariatrischer Eingriff ist für den Patienten ein eindrücklicher und bedeutungsvoller Meilenstein in seiner Adipositasgeschichte. Daran sind viele Erwartungen und Hoffnungen geknüpft, die in der langfristigen Nachsorge in die ernährungspsychologische Beratung aufgenommen werden.
von Jsabella Zädow
Gewohnheiten zu verändern ist ein anstrengender Prozess. Tief verankerte Essverhaltensmuster lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. Es benötigt ein langfristiges Training kombiniert mit achtsamer Selbstbeobachtung und der Entwicklung von alternativen Strategien. Betroffene werden in der ernährungspsychologischen Beratung auf die Ernährungsumstellung wie auch bei den Verhaltensänderungen begleitet. Das Ziel der ernährungspsychologischen Beratung ist eine Verlagerung vom automatisiert-emotionalen Essverhalten hin zu einem bewussten genussvollen Essen.
Die Herausforderungen der Ernährungsumstellung unterscheiden sich in den verschiedenen Phasen des postoperativen Verlaufs. Manchmal lassen sich längere, problemlose Abschnitte beobachten, dann wieder ergeben sich vermehrt Schwierigkeiten im Alltag. Je nach Phase können verschiedene Themenfelder ans Licht treten, welche in der Beratung priorisiert angegangen werden.
Erste Phase – «Honeymoon»
Nach der OP benötigt es ein enges Begleitmanagement seitens der Ernährungsberatung. Oberste Priorität hat in der Frühphase die Kostverträglichkeit bei gleichzeitig angemessener Nährstoffversorgung. Daneben gehört ein geregelter Mahlzeitenrhythmus, langsames Essen ohne Ablenkung, ruhige Ess-Atmosphäre, ausreichendes Kauen und das Respektieren der vorzeitigen Sättigung dazu. Spannend für den späteren Verlauf ist es, wenn der Patient in dieser Phase ein Fotoprotokoll erstellt. So kann in den folgenden Phasen darauf zurückgegriffen und verglichen werden.
Zweite Phase – «Jede Veränderung im Essverhalten zahlt sich aus»
In der zweiten Phase steht der entspannte Umgang mit dem Essen im Zentrum. Alles, was jetzt trainiert wird, unterstützt den langfristigen Gewichtserfolg. Es geht darum, die bisherigen Erfolge zu würdigen und das neu entwickelte Essverhalten zu reflektieren. Nach dieser Standortbestimmung wird das weitere Prozedere mit dem Patienten festgehalten, um gemeinsam die weiteren überprüfbaren Ziele zu formulieren. Diese gilt es bewusst durch Verstärkerstrategien wie Belohnen, soziale Kontakte, Ausüben von neuen Hobbys zu stützen. Ebenso gehören Experimente mit Auswärtsessen, Festen und Ferien dazu, damit der Ess-Jahreszyklus einmal erprobt werden kann.
Verhaltenstherapeutische Strategien ergänzen in dieser Phase die diätetischen Empfehlungen. Dazu gehört die Selbstbeobachtung von Verhalten und Fortschritten bezüglich Nahrungsmittelauswahl, Essensmenge und Essensmotiven. Es geht darum, Ess- und Trinkstimuli zu identifizieren, die Auslöser frühzeitig zu erkennen, um mit alternativen Strategien reagieren zu können. Ziel ist, ein genussfreudiges und achtsamen Essen zu automatisieren.
Dritte Phase – «Rückfall in alte Essmuster durch Emotionen»
Sobald sich die Euphorie des Honeymoon legt, können Krisen oder Unsicherheiten durchschimmern, vor allem nach einem natürlich eintretenden Gewichtsrebound. Die zu erwartende Gewichtszunahme nach Erreichen des Tiefstgewichtes beträgt zirka 5 bis 10 Prozent. Dieses physiologische Einpendeln auf ein neues «Normgewicht» kann bei Patienten alte Gefühle auslösen. Es besteht die Gefahr eines Rückfalls in alte Essverhaltensmuster, die oft durch Angst und Scham ausgelöst werden. Diese beiden Gefühlsreaktionen erschweren die Stabilisierung in Bezug auf die neuen Essgewohnheiten. Gefühle und Essgründe können in dieser Phase unter die Lupe genommen werden und alternative Strategien zum Spannungsabbau entwickelt werden. Bei Rückfällen und Gewichtsanstiegen geht es um die Überprüfung, ob die tägliche Eiweissmenge, der Mahlzeiten-Rhythmus sowie die Nahrungsmittelauswahl noch stimmen. Ziel ist es, die neuen Essgewohnheiten zu etablieren und bei Rückfällen schnell funktionierende Gegenmassnahmen einzuleiten.
Vierte Phase - «Stabilität im Langzeitverlauf»
Eine standardisierte Nachsorge im Ernährungsbereich hat sich als sinnvolle Behandlung etabliert. Die regelmässige Eigenreflexion der Patienten dient als Basis für eine stabile Lebensstiländerung und bietet die Chance auf ein gutes Outcome nach der Adipositaschirurgie.
Der Originalartikel zum Thema ist im Januar 2019 in der Schweizer Ernährungsmedizin erschienen.
Ein Artikel von Jsabella Zädow und Natalie Zumbrunn, Dipl. Ernährungsberaterin FH, KEP - Kompetenzzentrum für Ernährungspsychologie.
Autorinnen
Jsabella Zädow & Natalie Zumbrunn
Dipl. Ernährungsberaterin FH
KEP - Kompetenzzentrum für Ernährungspsychologie
Adipositaszentrum Limmattal
Urdorferstrasse 100
8952 Schlieren